Generalpause

Zur Zeit gibt es nichts anzukündigen. Die Litfaßsäulen zeigen an, was nicht stattfinden wird. Die Tageszeitungen enthalten keine Veranstaltungshinweise und verzichten weitgehend auf Werbematerial. Auf diese Weise werden sie prozentual gesehen gehaltvoller – immerhin!

Möge die Zeit, wie sie uns jetzt beschert ist, auf ihre Weise gehaltvoll sein für jede und jeden.

Möge die enttäuschte Vorfreude auf das eine oder andere Event ausgeglichen werden durch das intensive Erlebnis der Gegenwart.

Der „Heimat-Urlaub“, den ich gerade verlebe, birgt jeden Tag etwas Wunderbares. Die gecancelte Reise vermisse ich nicht.

Musik findet im Freien statt, spontan, z.B. mit dem Duo Wildkraut in der Travelmannstraße.

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GENERALPAUSE   – ein Gleichnis

Nach einer Kakophonie, die sich in Tempo und Lautstärke schier überschlug, hat die Dirigentin eine überraschende Vollbremsung angeordnet. Doch es dauert einen Moment, bis alle es begriffen haben, und so bleibt ein unförmiger Klangklumpen in der Luft hängen, der immer leiser wird und schließlich zum Stehen kommt. Fermate. Erschrocken halten die Musizierenden die Körperspannung bis in die eintretende Stille hinein, denn sie gehört zur Musik: die Generalpause, in der nachklingt, was eben noch den Raum erfüllte, und Neues sich ankündigt, das höchstens zu erahnen ist.

Das Gewesene und das Kommende begegnen sich in einer rätselhaften Stille.

Die Dirigentin verharrt in ihrer Pose, beide Arme auf Schulterhöhe in der Luft, die Handinnenflächen nach oben gewandt, offen für den nächsten Einsatz. Ihr Blick geht über die Menschen hinweg in die Ferne, als erhoffte sie dort ein Zeichen. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich verhalten in angespannter Erwartung. Den Musizierenden werden die Instrumente schwer, der Chor steht mit halboffenen Mündern, doch alle vertrauen der Dirigentin und halten weiter inne, horchen in die Stille, atmen lautlos.

Da öffnet sie auf einmal weit die Augen und sieht jetzt alle an. Jede und jeder einzelne ist gemeint, und in ihrem intensiven, beinahe bohrenden, bittenden Blick liegt eine Botschaft, die an niemandem vorbeigeht.

Wir, nicht ich. Ob Oboe, Bratsche am letzten Pult, ob Chorsängerin oder Schlagzeug. Ich bin wichtig, aber nicht am wichtigsten.                                                                                                                               WIR. ZUSAMMEN. NUR SO KANN ES ETWAS WERDEN.

Hundert Herzen öffnen ihre Ohren.

Sie atmet hörbar durch die Nase ein und gibt mit dem Anflug eines Lächelns den ersehnten Einsatz.

 

                                                                                   Gundula Buitkamp, April 2020